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Anstatt für die gehobene Klientel kocht der Schweizer Spitzenkoch Daniel Humm für Bedürftige

Interview: Daniel Böniger

Der Schweizer Spitzenkoch bleibt während der Corona-Krise in New York. Statt für die gehobene Klientel kocht er nun für Bedürftige. Es sei das stolzeste Kapitel seiner Karriere.

Daniel Humm, Sie haben eine halbe Million Dollar gesammelt, um 100’000 Mahlzeiten für Obdachlose zu kochen. Wie kam es dazu?

Noch am Vorabend der Krise war unser Restaurant Eleven Madison Park in New York bis auf den letzten Platz besetzt – dann kam hier wie über Nacht alles zum Stillstand. Klar, haben wir im Vorfeld nach Wuhan und Italien geblickt, aber wir realisierten nicht recht, was da kommt. Bis es plötzlich hiess: 3 Fälle, 30 Fälle …

Sie zogen sich einige Tage zurück.

Und mir wurde schnell klar, wo meine Aufgabe liegen könnte. Ich habe ein Restaurant, gute Beziehungen zu Bauern und Lieferanten, kenne viele Köche, da war es naheliegend, dass ich für Bedürftige Mahlzeiten zubereiten will.

Das klappte auf Anhieb?

Überhaupt nicht. Ausgerechnet mein Team, mit dem ich jahrelang auf höchstem Niveau gearbeitet habe und das sich eigentlich vor gar nichts fürchtet, hatte Angst vor dem Virus. Da machen wir nicht mit, sagten die meisten Mitarbeiter. Ehrlich gesagt, fühlte ich mich genauso allein wie vor vielen Jahren, als ich in die USA gekommen bin. Ich stand dann frühmorgens in der Küche und telefonierte die Leute durch – zwölf Mitarbeiter waren notwendig, um loslegen zu können.

Hat es Ihnen geholfen, hinzustehen und etwas bewirken zu können?

Inzwischen frage ich mich sogar, wieso ich da nicht vor Corona schon draufgekommen bin. Ich hatte ja immer Mühe damit, nur für diejenigen zu kochen, die es sich leisten können, das hat für mich nie zu hundert Prozent gestimmt. Ich mag zwar die ausgewählten Lebensmittel, ich mag das grosse Team. Leider kann man unsere Art, Essen zuzubereiten, aber nicht günstiger anbieten. Und jetzt, tja, koche ich eine halbe Tonne Reis aufs Mal.

Wie wird sich das Projekt weiterentwickeln?

Die halbe Million Dollar, von der Sie sprachen, habe ich in gerade mal 24 Stunden aufgetrieben, um das Projekt starten zu können. Inzwischen sind Spendengelder von über 15 Millionen zusammengekommen – das ist ein Auftrag.

Wie viele Essensportionen sind denn schon raus?

Wir haben vor gut vier Wochen mit 2500 Mahlzeiten täglich gestartet, inzwischen haben wir eine zweite, separierte Küche in Betrieb genommen und konnten die Kapazität verdoppeln. Wir arbeiten in Dreiergruppen, falls jemand erkranken würde. Bloss sind auch 5000 Essen, eigentlich eine grosse Zahl, nur ein Tropfen auf den heissen Stein. In New York City wären jeden Tag eine Million Mahlzeiten gefragt, für Spitäler, Altersheime, die Obdachlosen …

Und wenn die Corona-Krise vorüber sein wird?

Glauben Sie mir, ich werde nie mehr als Koch oder als Gastgeber arbeiten können, wenn diese soziale Komponente nicht Teil des Konzepts ist. Und ich hoffe, dass mir da weltweit Köche folgen werden. Es ist möglich, ein gehobenes Restaurant zu betreiben und gleichzeitig etwas gegen den Hunger zu tun.

Sind Sie für die Verteilung des Essens selbst unterwegs auf den Strassen von New York?

Ja, ich war auch draussen, an denjenigen Orten, die zu den derzeit gefährlichsten überhaupt gehören, Spitäler beispielsweise. Ich habe Leute getroffen, die tagtäglich für das eigene und das Überleben ihrer Patienten kämpfen. Für mich war es wichtig, dies zu sehen.

Haben Sie Angst vor dieser unheimlichen Krankheit?

Angst hat man ja immer, aber sie bringt wenig, weil sie bremst. Zieht man aber Energie daraus, dann verändert man womöglich sein Leben. Und, klar, man muss momentan die Vorsichtsmassnahmen einhalten, sich der Gefahren bewusst sein. Doch bei diesen Besuchen bei den Bedürftigen habe ich die Magie des Essens wieder neu gespürt, in einem anderen Sinn als sonst in meinem Alltag. Man kann ohne Kleidung, ohne Obdach auskommen, aber nicht ohne Nahrung. Dieser zentrale Aspekt hat für mich wieder an Gewicht gewonnen, so gern ich kunstvolle Teller zubereite.

 

Die ganze Geschichte hat eine Kehrseite. Sie mussten 300 Leute auf die Strasse stellen, weil Ihr Restaurant Eleven Madison Park geschlossen ist.

Dazu muss man wissen, dass es hier keine Arbeitslosenversicherung gibt. Erst dachte ich, ich könnte einfach abwarten und die Löhne weiter bezahlen. Bis mir nach ungefähr einer Woche bewusst wurde, dass die Situation ja zwei, drei Monate oder länger andauern könnte. Unsere Payroll beläuft sich auf ungefähr 600’000 Dollar wöchentlich, und das sind bloss die Löhne. Man muss nicht besonders gut rechnen können, um zu merken, dass das nicht aufgeht. Auch andere berühmte Gastronomen, die sonst für alles eine Lösung haben und die vorbildlich mit ihren Angestellten umgehen, sind diesen Weg gegangen.

Und in Ihrem neuen Betrieb in London?

Dort sind die sozialen Rahmenbedingungen anders, dort bekommen alle Angestellten weiterhin 80 Prozent ihres Lohns. «In America it’s the great depression, in Europe it’s the great vacation», sagen hier manche.

Wird man da nicht wütend auf die US-Regierung?

Ich bin kein politischer Mensch. Für mich bleiben die USA ein fantastisches Land, und darum bin ich auch hier in New York geblieben. Ich wollte dieser Stadt, die mir alles gegeben hat, nicht den Rücken zukehren. Aber: Es ist hier allen bewusst, dass der «Big Apple» nur funktioniert dank den illegal Anwesenden. Sie erziehen unsere Kinder, reinigen unsere Treppenhäuser, mähen unsere Rasen. Wenn da Trump findet, wir machen die Grenze zu, ist das sehr kurz gedacht aus New Yorker Sicht.

Sie hatten ein Burn-out…

Ja, ich ging nach Indien, habe dort meditiert, aber ich fand keine Lösung für mein Problem. Die jetzige Situation aber hat mir die Augen geöffnet, meine Weichen neu gestellt. So seltsam es klingen mag: Es war befreiend, zu realisieren, dass die Welt zurzeit keine Entenbrust mit Honig braucht, weil täglich fünfhundert Menschen sterben hier in New York.

Wird Ihr Restaurant wieder auf die Beine kommen?

Das ist derzeit schlichtweg nicht zu beantworten. Nur schon die wirtschaftliche Situation, von der wir als Gastrobetrieb abhängig sind, wird sich komplett verändern. Ich bin da aber sehr offen, denn als Koch habe ich alles erreicht. Ich habe drei «Michelin»-Sterne, wir waren 2017 das beste Restaurant der Welt – meine grossen Träume, die ich als Bub hatte, wurden alle erfüllt. Genau deshalb bin ich danach in ein tiefes Loch gefallen, in eine Sinnkrise. Es war schlichtweg unbefriedigend, zu wissen, dass ich so noch 25 Jahre weiter kochen soll.

In der Metropole sind zurzeit weit über 200’000 Menschen infiziert. Bekommen Sie das mit?

Man hört auf den Strassen nur wenig Geräusche ausser die Sirenen der Krankenwagen. Jeder hier kennt jemanden, der am Virus gestorben ist. Auf der Park Avenue nachmittags um drei Uhr hat es kein einziges Auto, es ist gespenstisch. Und wenn ich abends im Central Park joggen gehe, habe ich das Gefühl, ich sei in einer anderen Stadt. Man ist allein und hört die Vögel pfeifen, so wie sonst nur in europäischen Pärken.

Sehen Sie den «Lichtstreifen am Horizont», wie es die Regierung hier in der Schweiz genannt hat?

Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie es die nächsten Wochen weitergehen wird. Egal ob man «Washington Post», «Wall Street Journal» oder «Financial Times» liest, mal heisst es dies, dann das Gegenteil. Jede Meinung findet zurzeit Gehör. Es ist Wahljahr hier, auch der Kampf gegen das Coronavirus wird dabei instrumentalisiert. Das ist eine unschöne Entwicklung.

Sie spüren in New York also nicht, dass es in eine gute Richtung gehen könnte?

Wir blicken nach Europa, und es tut uns selbstverständlich gut, zu hören, dass sich die Lage in Italien ganz langsam normalisiert, dass in Dänemark die Schulen wieder öffnen. Daraus nehmen wir die Hoffnung, dass auch bei uns nach der Krise wieder ein normales Leben auf uns wartet.

Gab es in den letzten Wochen auch schöne Momente?

Schön ist grundsätzlich die Klarheit, plötzlich zu wissen, was zählt. Der eindrücklichste Moment? Das war für mich wohl der Morgen, eine Woche nach der Schliessung, als wir das Licht im Eleven Madison Park wieder angeschaltet haben. Die ganze Nacht hatte ich kein Auge zugetan, und dann standen da zwölf Kollegen bei mir in der Küche, um anzupacken. Damit begann das stolzeste Kapitel meiner bisherigen Karriere.

Daniel Humm ist der «beste Koch der Welt»

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Daniel Humm wurde 1976 im aargauischen Strengelbach geboren und besuchte die Schule in Zürich. Er machte danach in der Schweiz eine Kochlehre, 2003 wanderte er in die Vereinigten Staaten aus. Drei Jahre später wurde er Küchenchef im Eleven Madison Park in New York, das durch ihn zum höchstklassierten Restaurant der USA avancierte. Das Lokal, dessen alleiniger Besitzer Humm inzwischen ist, trägt drei «Michelin»-Sterne. 2017 wurde es sogar Nummer 1 auf der Liste der «World’s 50 Best Restaurants». Seit letztem Jahr leitet der erfolgreiche Gastronom zusätzlich das Gourmetrestaurant Davies and Brook in London. Daniel Humm hat zwei erwachsene Töchter; liiert ist er mit Laurene Powell Jobs, der Witwe des Apple-Mitbegründer Steve Jobs. (boe)

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Küchenchefs, die sich engagieren

Auch andere bekannte Küchenchefs haben sich temporär von der Gourmetgastronomie verabschiedet: So bereitet in Wien der Zwei-Sterne-Chef Heinz Reitbauer (Steirereck) Gratisessen für Hilfskräfte zu. Von rund 750 Gerichten täglich profitieren Polizei, Feuerwehr und Caritas – und nicht zuletzt die Lieferanten, die ihre Produkte weiterhin liefern können. «Nichtstun kommt für uns nicht infrage», sagte der Chef des bekanntesten Restaurants Österreichs zur Zeitung «Die Welt».

Ebenfalls für die sogenannten Funktionsberufe – dazu gehören auch Supermarktkassierer – kocht in Deutschland Max Strohe (Tulus Lotrek, 1 «Michelin»-Stern). Aus Restbeständen wie Fleisch entstehen in Berlin so simple Gerichte wie Gulaschsuppe.

Und in Dänemark hat Rasmus Munk (Alchemist, 2 «Michelin»-Sterne) seine Küchen für Obdachlose geöffnet. Der erst 27-jährige Shootingstar der nordischen Küche hat seine Kollegen in Kopenhagen aufgerufen, es ihm gleichzutun. Vielleicht nützt dies ja auch tatsächlich mehr als die x-te Instagram-Kochschule. (boe)

Quelle: https://www.tagesanzeiger.ch

 

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Ein wunderbarer Text von einer in Venedig eingesperrten Person

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