Mit einer einjährigen „Auszeit“ von meiner eineiigen Zwillingsschwester wurde mir bewusst, welche Gabe mir als „Zwei – ling“ in die Wiege gelegt wurde. Deshalb war ich dem Geheimnis dieser Verbundenheit und mir selbst auf der Spur.
Ich bin eineiiger Zwilling. Und ich bin seit 2 Jahren von meiner Zwillingsschwester geschieden.
Denn anders als ihr Einlinge bin ich mit einem Partner auf die Welt gekommen. Mit dem perfekten Partner. Man liebt sich, man ist nie allein, aber man ist immer nur Teil vom Ganzen.
In meiner Kindheit haben Freunde an unserer Tür geklingelt und gefragt: „Sind die Zwillinge da?“ Ihnen war es egal, wer von uns Beiden anwesend war, die Hauptsache war, eine von uns war da. Doch uns hat das geärgert. Deswegen haben wir immer versucht uns zu trennen. Wir waren auf unterschiedlichen Schulen, wir hatten unterschiedliche Freunde, wir haben in unterschiedlichen Städten gewohnt. Und doch…
Bevor ich nach Zürich gezogen bin, habe ich in München gelebt. Ich hatte meine Stadt gefunden. Hatte dort meine Bars. Meine Freunde, meine Berge. Meins. Mein Territorium. Dann hat meine Schwester entschieden auch nach München zu ziehen.
Ich war wütend, wie konnte sie sich erlauben, in mein Territorium einzudringen, wofür ich so lange gekämpft hatte.
Es musste kommen, wie es kommen musste.
Nach einem Monat München wurde ich das erste Mal verwechselt – in einer Millionenstadt. Und auf einmal war meine Bar auch ihre Bar, mein Fitnessstudio war auf einmal auch ihr Fitnessstudio. Und meine Ex-Arbeitskollegen, wurden ihre neuen Arbeitskollegen. Denn auch sie hat in einer Agentur gearbeitet.
Doch das Schlimmste war, ich habe es genossen. Es war so schön. Es war so einfach.
Am Wochenende hatte ich endlich wieder den perfekten Partner mit dem ich was unternehmen wollte. Denn wir haben ja die gleichen Interessen.
Als sie später einen Partner hatte, merkte ich wie abhängig ich wieder geworden war und dass ich wieder mein eigenes Leben verloren hatte.
Ich habe all meinen Mut zusammen genommen und bin für meine grosse Liebe nach Zürich gezogen. Als ich anschließend in Zürich war, musste ich mich wieder mit dem Allein sein auseinander setzen, denn auch der Mann war weg.
Und deswegen fragte ich mich, warum habe ich so Angst vor dem Allein sein. Und ich bemerkte, es ist gar nicht das Allein sein. Ich hatte Angst ob das normal ist. Ist es normal, dass man das Allein sein schön findet? Wird man komisch? Mir wurde klar, dass ich das ja gar nicht kannte.
Vor zwei Jahren war ich dann das erste Mal mit meiner Schwester zusammen in den Ferien. Wir haben gedacht, das muss ja auch erlaubt sein, dass man diese Geschwisterliebe lebt. Das Gefühl ist ja schön. Wir waren zusammen auf Mallorca. Doch nach zwei Tagen merke ich, ich will wieder allein sein.
Ich fühl mich so abhängig. Auf einmal merke ich, ich habe mich verändert.
Sie versteht mich überhaupt nicht. Wir haben einen richtigen Partnerschaftsstreit.
Sie haut ab und ich stehe da. Und danach passiert etwas Interessantes.
Ich gehe meiner Intuition nach. Ich laufe in die Stadt. Und denke, ja ich werde sie schon wieder finden. Ich sehe eine Treppe, welche auf einen Wanderweg führt. Nach einer Stunde komme ich an eine Kapelle. Und ich fühle, dass ich hier genau richtig bin. 5 Minuten später trudelt meine Schwester ein. Wir sind unabhängig voneinander genau den gleichen Weg gelaufen. Wir waren synchron.
Was ich aber auch gemerkt habe. Irgendetwas hatte sich verändert. Ich muss mich endlich richtig trennen. Und deshalb entstand unser offizielles Trennungsjahr. Wir haben uns nicht mehr gehört. Wir haben uns nicht mehr gesehen. Einfach Kontaktstille und es war gut so.
Es hat sich gut angefühlt.
In dieser Zeit habe ich mich gefragt, was eigentlich genau das Geheimnis dieser Verbundenheit von Zwillingen ist? Kennt ihr das Gefühl, ihr denkt an jemand und genau in diesem Augenblick erhaltet ihr eine SMS von genau dieser Person. Dann wart ihr zu diesem Zeitpunkt synchron.
Letzten Sommer hatte ich einen Bänderriss. Und mit meinem Physiotherapeuten – ein Kubaner – hatte ich immer sehr lustige Diskussionen. Er hat damals die Wasserballettnixen von Zürich betreut.
Und wir sind wieder auf die Synchronizität gekommen. Was genau machen eigentlich Synchronspringerinnen, wenn sie gleichzeitig abspringen, sich in der Luft drehen und dann gemeinsam im Wasser aufkommen? Meine Antwort ist: sie kommunizieren.
Und mit dieser Erkenntnis habe ich mich mehr mit dem Thema Synchronizität beschäftigt.
Eineiige Zwillinge entstehen durch die Aufteilung einer befruchteten Eizelle. Und selbst Zellen kommunizieren. 86 Milliarden Zellen müssen im Körper kommunizieren damit der Mensch denken fühlen und handeln kann. Was ich noch herausgefunden habe, mit den neuen 3D Ultraschallgeräten hat man festgestellt, dass Zwillinge schon im Mutterleib miteinander kommunizieren.
Sie halten sich an der Hand, sie kommunizieren und was noch viel interessanter ist, sie streiten sich auch. Und dann kam mir der Gedanke, dass Menschen mich sehr oft gefragt hatten, ob ich genau das fühlen kann, was meine Schwester fühlt. Meine Antwort war immer: Natürlich nicht.
Was ich aber falsch verstanden habe war, dass ich ja immer mit ihr zusammen war. Oder täglich mit ihr kommuniziert oder zumindest an sie gedacht habe. Was dazu kommt ist, dass dieses Gefühl, diese Wahrnehmung für mich normal ist. Dass ich weiß was meine Schwester denkt und fühlt. Und was die wenigsten Wissen, ich mache das ja nicht nur mit meiner Schwester, sondern mit allen anderen Menschen auch.
Was ist also das Geheimnis dieser Synchronizität?
An unserer Erstkommunion habe ich mit meiner Schwester ein Duo gesungen.
Sing mit mir ein Halleluja! Und das erste Kommentar von meinen Groß Cousin Günter, der selbst eineiiger Zwilling war – WIE, DAS WAREN ZWEI? Er hatte gar nicht gemerkt, dass da zwei auf der Bühne standen.
Heute kann ich euch sagen, was ich da mache. Ich fühle, wenn meine Schwester einsetzt, ich sehe es im Augenwinkel, wenn sie einsetzt, ich höre wenn sie einsetzt und ich weiss es ganz einfach. Und noch viel einfacher ausgedrückt. Ich verbinde mich mit ihr und werde Eins.
Und dann erinnere ich mich an eine Motorradfahrt mit einem Freund. Und er sagte zu mir: „Du Annika, das war komisch. Ich hab dich gar nicht gefühlt.“ Ich war irritiert. „Wie jetzt – du hast mich nicht gefühlt?“ „Na, ja normal spürt man, wenn da jemand hinter einem auf dem Motorrad sitzt. Manchmal legt der sich einfach irgendwie falsch in die Kurve.“ Ich war einfach synchron. Ich habe mich verbunden genau deswegen waren wir Eins.
Ende des Jahres habe ich gedacht, na ja jetzt muss ich mein Trennungsjahr noch abschliessen. Ich fahre endlich mal allein in Urlaub. Einfach das „Allein sein“ geniessen. Was ich ja neu kennen gelernt habe. Ausserdem wollte ich meinen Geburtstag allein verbringen. Einfach allein. Also meldete ich mich bei einem Yoga Retreat in Indien an. Ich geniesse die Freiheit. Ich muss niemanden Rechenschaft ablegen. Ich mache das, worauf ich Lust habe. In der zweiten Woche bin ich in einer Gruppe. Und auf einmal ist wieder alles gemeinsam. Yoga, Frühstück, Mittagessen, Abendessen, Abendveranstaltung. Und ich bekomme Panik.
Ich bemerke, oh Mann ich will frei sein. Ich muss allein sein. Und dann habe ich die Erkenntnis, dass ich nun die Schönheit vom „Allein sein“ kennen gelernt habe.
Dann erzählt mir Laurence aus der Gruppe, dass sie an meinem Geburtstag auch Geburtstag hat. Ich bin sauer und denke, das kann doch nicht wahr sein. Ich wollte doch endlich mal alleine Geburtstag haben. Am nächsten Tag hab ich ein Frühstücksei. Und das Frühstücksei ist ein Zwilling. Es hat zwei Dotter.
Ian aus der Gruppe erzählt mir, dass er eineiiger Zwilling ist. Ich bin irritiert, denn irgendwie verfolgt mich das Thema. Und genau hier schildert mir Ian, dass es ihn schon immer geärgert hat, dass die Menschen keine Unterschiede sehen. Kaum wahrnehmen. Für ihn ist Gleiches nicht gleich gleich. Er liebt den Mikrokosmos. Schaut in die Details. Und deswegen ist er Fotograf geworden. In diesem Moment erkenne ich mein Glück.
Mein Glück Zwilling zu sein. Das Wissen, dass man sich verbindet und das Glück Eins zu sein. Das Glück zu wissen wie es ist, wenn man bedingungslos liebt und geliebt wird.
Ihr kennt die Schönheit vom Allein sein. Aber viele von euch haben einfach Angst sich so zu verbinden, so dass man diese bedingungslose Liebe fühlt.
Im März vor 2 Jahren traf ich mich mit meiner Schwester – nach einem Jahr Trennung. Wir sind nun offiziell geschieden. Und ich sehe und ich fühle, sie ist schwanger. Und augenblicklich erinnere ich mich an einen Traum in Indien. In diesem Traum war ich schwanger und irgendwie war ich das gar nicht. Jetzt hatte ich die Antwort. Ich bin dankbar. Denn anscheinend hat jetzt einfach neues Leben bei uns beiden Platz.
Annika Viktoria Ritter
