„ICH BIN ZUM FLIEGEN GEBOREN!“ SAGT GÉRALDINE, DEREN LEBENSMOTTO AUCH „ VENI, VIDI, VICI“ HEISSEN KÖNNTE. FÜR SIE SCHEINT NICHTS UNMÖGLICH, UND NUR DIE NATUR SETZT IHR GRENZEN. ES IST EINE WAHRE FREUDE, WENN DIESE FRAU ÜBER IHRE LEIDENSCHAFT, IHR LEBEN UND IHRE TRÄUME SPRICHT, DIE NACH UND NACH WAHR WERDEN – JETZT, WO SIE BEREIT FÜR SIE IST. EINER IHRER JÜNGSTEN ERFOLGE : IHR FLUG VOM MATTERHORN!
Fliegen
In der Luft fühle ich mich wohl. Die Luft ist für mich gleich- bedeutend mit dem Fliegen. Ich träume seit meiner Kindheit vom Fliegen und mittlerweile lasse ich meinen Traum wahr werden. Die Luft ist ein magisches Element! Wenn man die Möglichkeit hat, vom Gipfel eines Berges zu springen und wie ein Vogel hinab zu gleiten, dann ist das ganz einfach unglaub- lich… In den ersten Sekunden fällt man, bis man spürt, wie die Natur einen auffängt und dann kann man sich in der Luft frei bewegen und navigieren. Man fliegt!
Der Zauber des Lebens? Eine Botschaft an die Menschen?
Das Leben besteht aus Begegnungen und Beziehungen. Man kann sich Hals über Kopf in die Natur verlieben, aber auch in Menschen, die man trifft. Das ist der Zauber des Lebens. Wenn ich den Menschen eine Botschaft mitgeben könnte, dann, dass sie niemals aufhören sollen, zu träumen. Es ist unglaublich. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal dieses Leben führe, das ich jetzt führe. All die Gipfel, die ich befahren habe, meine Teilnahme am Xtreme in Verbier, Sprünge aus einem Flugzeug, der Sprung vom Matterhorn – all das ist unbeschreiblich! Ich tue Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte. Doch dank moderner Ausrüstung und neuen Technologie für Wingsuits ist all das möglich. Ich erinnere mich, das ich einmal zu mir selbst sagte : „Hör auf zu träumen! Menschen können nicht fliegen!“ Doch ich hatte Unrecht.
Wie schafft man es, so ein Leben zu leben?
Man muss nur an sich glauben und sich selbst die Möglich- keit geben, es zu tun… Allein wenn man sich etwas vorstellt oder daran denkt, erhöht man die Chancen, dass es wirklich passiert. Ich habe mich dafür entschieden, mein Leben dem Sport zu widmen. Ich liebe, was ich tue und könnte mir nicht vorstellen, etwas anderes zu tun. Es macht viel Arbeit, denn ein Sprung von einem Berg wie dem Matterhorn wäre ohne intensives tägliches Training nicht machbar. Die Idee kam mir schon im Jahr 2009. Ich war Riden und dachte mir, dass es fantastisch wäre, einen Gipfel als Startpunkt zu haben. Von da an setzte ich alles daran, diese fixe Idee Realität werden zu lassen!
Und wie geht es jetzt weiter, nach dem Matterhorn?
Es gibt noch so viele Gipfel, die ich entdecken und überfliegen möchte. Ich möchte der ganzen Welt zeigen, dass es ein fantas- tischer Sport ist. Habt ihr das realisiert? Wir können fliegen! Und wenn man technisch, mental und körperlich richtig vor- bereitet ist, ist die Freude unendlich! Ich übe den Sport schon seit 14 Jahren aus. Er erfordert viel Hingabe, und man darf nicht in eine Routine verfallen. Da hilft mir meine Vergangen- heit als Freeriderin. Jeder Sprung, jeder Tag und jeder Hang ist anders. Und wenn man das Maximum an Freiheit und Freude erleben will, muss man 100 % geben! Ich suche nicht die Ge- fahr oder den Nervenkitzel. Auf dem Gipfel vom Matterhorn fühlte ich mit gut und in meinem Element. Ich habe den Flug von Anfang bis Ende genossen. Es war pure Begeisterung! Und ich hätte es sicherlich nicht so sehr geniessen können, wenn ich nicht vollkommen bereit dafür gewesen wäre.
Was ist mit anderen Menschen, der Vorbereitung und dem Sprung?
Ich war von Menschen umgeben, denen ich vollkommen vertraue und mit denen ich diesen Moment teilen wollte. Ich wusste, hätte ich gesagt, dass ich wieder zu Fuss hinabstei- gen will, wären sie mir gefolgt. Zudem wurden wir von zwei Meteorologen und einem Landungsteam unterstützt. Die Möglichkeit, dass der Sprung nicht stattfinden würde, war allgegenwärtig. Wir warteten über anderthalb Monate lang auf das optimale Wetter. Auf einem Berg ist jeder Tag ein Geschenk. Doch an dem Tag war alles so wie es sein musste.
Kein Wind – es war der perfekte Tag! Der April war herausra- gend – tolles Wetter und fast kein Schnee auf dem Matterhorn. Doch Julien, der vor mir sprang, meinte, wir wären technisch noch nicht so weit. Also warteten wir. Dann kam der Mai und wir hatten schlechtes Wetter und Schnee – ein Desaster… Unser Traum löste sich vor unseren Augen langsam in Luft auf. Wir mussten bis Ende Mai warten. Erst dann schien die Sonne wieder. Dann, Anfang Juni, war es auch noch windstill. Es konnte losgehen! Das einzige Problem blieb der Schnee auf dem Kamm. Wir brauchten für den Aufstieg sieben Stun- den (zwei Stunden länger als gedacht) und kamen ziemlich erschöpft auf dem Gipfel an. Also nahmen wir uns etwas Zeit, um wieder Kräfte zu tanken, bevor wir uns 30 Meter tief ab- seilten. Dort lag unser Abflugplatz für den Sprung 107 Meter in die Tiefe. Unglaublich! Ich konnte es nicht glauben, denn es war irgendwie zu leicht! (lacht) Schliesslich kam der entscheidende Augenblick für mich. Ich zählte 5-4-3-2-1…Los!!! Woooow! Es war einfach unbeschreib-
lich. Das Matterhorn lag in seiner vollen Pracht unter mir. Wir hatten die Route genau festgelegt. Ich bin am Hörnli-Kamm abgesprungen, dann zur Ostwand, vorbei an der Hütte, dann eine scharfe Linkskurve zum Fuss der Nordwand, wo ich meinen Fallschirm öffnete. Mit Worten lässt sich der Flug kaum beschreiben. Ich war überglücklich! Als Julien und ich uns unten trafen, sprangen wir vor Freude herum und kugelten durch den Schnee – wir konnten es einfach nicht glauben!
Gibt es Grenzen?
Ich glaube, nur die Natur setzt uns Grenzen. Ich werde oft gefragt, wann ich denn endlich erwachsen werde. Hoffentlich nie!
Finde das, was dich glücklich macht…
Ich glaube nicht, dass man diese Glücksgefühle nur beim Fliegen erleben kann. Jeder muss für sich einen Weg zu dieser ganz persön- liche Balance finden. Das kann Skifahren, Gespräche oder Yoga sein. Wir alle sind für etwas Bestimmtes ge- schaffen! Man muss nur das finden, was einen glücklich macht, was man leiden-
schaftlich gern tut und was tief im Inneren eine unbändige Freude hervorruft. Ich weiss, ich bin fürs Fliegen geboren. Mir geht es nur mit Fliegen gut…