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Die Alpinistin Ilina Arsova – ein subtiler Mix aus Kraft und Gelassenheit

ES IST IHR BLICK VOLLER ENTSCHLOSSENHEIT UND WEICHHEIT ZUGLEICH, DER MICH SOFORT FASZINIERT, ALS ICH DIE ERSTEN WORTE MIT ILINA ARSOVA WECHSLE. EINE SUBTILE MISCHUNG VON KRAFT UND RUHE GEHT VON IHR AUS. EINE BEGEGNUNG.


Ihre Stimme, die Ausdrücke, die sie immer mit Bedacht wählt, haben die gleiche Ausgewogenheit, und der Austausch zwischen uns beiden entsteht ganz natürlich. Ilina ist eine junge Bergsteigerin Anfang dreissig, die schon jede Menge beeindruckende Erfahrungen gesammelt hat. Sie wuchs in der Nähe der Berge auf, die Skopje umrahmen, die Hauptstadt von Mazedonien, ein kleines Land im Herzen des Balkans. Die Nähe zur ungezähmten Natur begann in ihrer frühesten Kindheit, dank der offenen Erziehung ihrer Eltern, aber auch wegen ihres Verlangens nach Entdeckungen und starken Empfindungen. Die Evolution in Richtung Hochgebirge geschah nicht auf direktem Wege, sie verliebte sich zuerst in Extremsportarten wie Skydiving, Paragleiten, Klettern… Alles kam nach und nach, und mit fliessenden Übergängen.

2006. Ein entscheidendes Datum. Sie erreicht mit ihrem damaligen Partner den Gipfel ihres ersten 4000ers, den Mont Blanc. Eine absolute Offenbarung, ein tiefer innerer Umbruch. Die Betäubung der Höhe, das Adrenalin des Aufstiegs, die Faszination mit den Herausforderungen im hochalpinen Gelände bringen sie dazu, die Grenzen weiter verschieben zu wollen. Andere Gipfel der Welt sind in den folgenden Jahren die Leinwand für ihre Himmelsstürme : Das Matterhorn, der Aconcagua, der Ama Dablam, und im vergangenen Frühjahr der Mount Everest. Der Aufstieg zum Dach der Welt – oder zum Chomolungma, wie der Berg in der Sprache der Tibeter heisst – sind unbestreitbare Erfolge ihres persönlichen Weges.

Aber Ilina Arsova hat ihre Beziehung zu den Bergen immer mit einer tiefen Bescheidenheit betrachtet, so wie sie auch ihre Expeditionen sieht. In ihren Augen ist der Weg auf den Gipfel eines Berges gleichbedeutend mit einer inneren Reise. Der Berg wird niemals bezwungen, sondern man hat seine Erlaubnis, den Gipfel zu erreichen. Ich kann eine Spur Traurigkeit in ihre Stimme entdecken, als sie versucht, die gegenwärtige Konsummentalität vieler Gipfelstürmer zu beschreiben ; die übergrosse Anzahl von Bergsteigern, die Berge wie den Everest besteigen ; die daraus resultierenden Umweltprobleme in die Umgebung und die lokale Bevölkerung. Ihrer Meinung nach sollte sich jeder zutiefst überlegen, warum er oder sie ein solches Abenteuer unternehmen will. Denn es ist eine körperliche und eine mentale Reise zugleich. Sie geniesst die Momente am Abend, allein in ihrem Zelt, wenn sie die unzähligen Eindrücke ihres Tages beschreibt. Sie schätzt auch die täglichen Gespräche mit den Sherpas, die sie zutiefst respektiert. Sie ist gern am Puls des Lebens der Länder, die sie besucht, um die Szenen des täglichen Lebens in ihren Skizzen festzuhalten. Sie bewundert das einfache Leben der Menschen im Himalaya. Und versucht in den letzten Jahren, ihr Können sowohl im Bergsteigen, als auch als Künstlerin weiterzuentwickeln.

Sie sieht einen Aufstieg wie eine Beichte, die sie sich selbst gegenüber ablegen würde, allein mit dem Berg, mit ihrer Freude, aber auch mit ihren Zweifeln und Ängsten. Angst. Das ist ein wichtiges Thema. Die Furcht, nicht alles unter Kontrolle zu haben, die Angst vor dem Tod ? Angst zu verspüren ist in ihren Augen eine gute Sache, sogar nötig, um dich mit beiden Füssen auf dem Boden zu halten, sie macht dich wachsamer für deine Umgebung in Zonen, die an sich für den Menschen lebensfeindlich sind. Sich vollständig von Angst zu befreien, kann gefährlich sein, denn dann vergisst man, dass menschliche Massstäbe unendlich viel kleiner sind, als die der Berge. Das perfekte geistige Gleichgewicht zu finden bedeutet, die Ambivalenz zwischen Faszination und Furcht zu bezähmen. Mit den Jahren sind grosse Höhen und das Adrenalin der Gipfel zu Ilinas wahrer Leidenschaft geworden.

Sie liebt das Gefühl, das der Mangel an Sauerstoff in ihrem Körper und Geist hervorruft, auch wenn sie sich natürlich der Gefahren bewusst ist, die damit einhergehen. Das letzte Stück auf dem Weg zum Gipfel, das in einer Höhe über 8000 m eine unglaubliche Herausforderung ist, in der sogenannten Todeszone. Der Mangel an Sauerstoff verändert die Wahrnehmung ; der Aufbruch in der Kälte der Nacht lässt den letzten Teil des Aufstiegs noch schwieriger und surrealer erscheinen…

Unsere Unterhaltung neigt sich dem Ende zu, und ich fühle mich, als würde ich aus einem Traum von Bergewelten und fernen Ländern aufwachen. Im Herbst, in Vorbereitung auf den Winter, ist Ilina zu Hause in Mazedonien zu finden, an den Ufern des Ohrid Sees, einem der ältesten und tiefsten Seen Europas. Nach ihren vielen ausgedehnten Reisen, und nachdem sie in verschiedenen Ländern gelebt hat, hat sie diese wilde Gegend als Zuhause gewählt, und hier die Ikar Hütte gegründet, eine Herberge, die nach den Prinzipien des Öko-Tourismus funktioniert. Sie sieht diesen Ort als einen Ort des Austausches zwischen Bergsteigern, Künstlern und Reisenden… Sie möchte ihrem Land all das zurückgeben, was sie im letzten Jahrzehnt erleben durfte. Denn ist es nicht das, worum es im Endeffekt im Leben geht – das freie, ausgewogene Fliessen der Energie zwischen den Menschen ?

Vanessa Beucher für 7sky.life Magazine

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